50 Jahre „Zeitschrift für Pädagogik“
Mit der Publikation von Heft 6/2004 liegen 50 Jahrgänge der „Zeitschrift für Pädagogik“ abgeschlossen vor. Das ist für eine wissenschaftliche Zeitschrift kein alltägliches Datum. Redaktion, Herausgeber und Verlag wollen das Ereignis deshalb auch nicht unerwähnt vorübergehen lassen, sondern als Anlaß nehmen für einen kurzen Rückblick, vor allem aber als Gelegenheit zur selbstkritischen Vergewisserung über die eigene Situation und für einen programmatischen Ausblick auf die Zukunft.
I.
Die Zeitschrift für Pädagogik - „ZfPäd“ - hat innerhalb der deutschsprachigen pädagogischen und erziehungswissenschaftlichen Publizistik nicht allein oder zuerst dieses Alter erreicht. Blickt man nur auf die allgemeinpädagogischen Zeitschriften, die schon eine längere Tradition haben, dann sind die „Pädagogische Rundschau“ und „Bildung und Erziehung“ älter; jene steht bereits im 58., diese 2004 im 57. Jahrgang. Alle drei Zeitschriften sind Neugründungen nach 1945, wie die meisten periodischen Publikationen im Bereich von Bildung und Erziehung. Nur wenige Zeitschriften stammen aus der Zeit vor 1945 bzw. 1933 und wahren im Anspruch oder auch nur im Titel die Kontinuität seit dem späten 19. und frühen 20. Jahrhundert. „Die Deutsche Schule“, 1897 vom Deutschen Lehrerverein gegründet, kann heute, nach Unterbrechungen in den Kriegsjahren, den 96. Jahrgang veröffentlichen, noch immer eine „Zeitschrift für Erziehungswissenschaft, Bildungspolitik und pädagogische Praxis“, wie sie schon der Lehrerverein an der Schnittstelle von Politik, Lehrerbewegung und Erziehungswissenschaft konzipierte (Herrlitz 1987). Die „Vierteljahrsschrift für wissenschaftliche Pädagogik“ wiederum, unter diesem Titel im Umfeld der katholischen Erziehungsphilosophie 1925 gegründet, erscheint 2004 im 80. Jahrgang, und immer noch wird man konstatieren dürfen, dass erziehungs- und bildungsphilosophische Argumente ihren Stil prägen.
Andere Zeitschriftengründungen der Nachkriegszeit haben das Alter der ZfPäd nicht erreicht. Die Zeitschriften aus der SBZ und DDR sind mit dem Ende des staatssozialistischen Experiments untergegangen oder haben, wie die „pädagogik“ (in Kleinschreibung gegründet), nur in veränderter Gestalt, mit neuem Titel und neuem Programm als „Pädagogik und Schulalltag“, überlebt. Die „Sammlung“, 1946 von Herman Nohl, Wilhelm Flitner, Erich Weniger und Otto Friedrich Bollnow als Zeitschrift für „Kultur und Erziehung“ gegründet und schon im programmatischen Titel Teil der Nachkriegsanstrengungen, Kultur und Gesellschaft im Medium eines fachübergreifenden Gesprächs zu erneuern, endete mit dem 15. Jahrgang 1960 und zeigte damit auch, wie begrenzt die Chancen für diese Fokussierung der Kommunikation über Bildungsfragen inzwischen geworden waren Der „Merkur“ ist nahezu allein aus der Fülle der Kulturzeitschriften der Nachkriegsära übrig geblieben, war aber auch nie primär auf die pädagogische Dimension von Bildungsfragen konzentriert. Die „Sammlung“ wird als „Neue Sammlung“, von neuen Herausgebern, zuerst als „Göttinger Zeitschrift für Erziehung und Gesellschaft“, jetzt als „Vierteljahres-Zeitschrift für Erziehung und Gesellschaft“ fortgeführt. Sie ist nach Stil und Selbstverständnis ein Unikat in der erziehungswissenschaftlichen Kommunikation geblieben, eher eine Kulturzeitschrift als ein fachwissenschaftliches Organ.
In der Ordnung des pädagogischen Kommunikationsraumes, der in seiner ganzen Ausdifferenzierung nach Subdisziplinen und Professionen schon immer unüberschaubar groß war (Buchheit 1939), stellt der Bereich von Zeitschriften, die einen umfassenden und allgemeinpädagogischen Anspruch erheben, traditionell nur ein kleines Segment dar. Hier hat es auch nach der Zahl und Prominenz der Titel seit 1945 nicht viel Bewegung gegeben; Neugründungen in diesem spezifischen Feld blieben ausgesprochen selten. Im Grunde hat nur die „Zeitschrift für Erziehungswissenschaft“ dieses Segment der erziehungswissenschaftlichen Kommunikation mit ihrer Gründung 1998 erweitert. Das heißt aber nicht, mit der Kontinuität der Titel auch von einer Stabilität der Inhalte und Ausrichtungen sprechen zu können, jedenfalls dann nicht, wenn man die ZfPäd zum Maßstab macht.
Mit ihr dominieren nicht nur system- oder professionsspezifisch, sondern auch bei allgemeinpädagogischen Organen jetzt Zeitschriften, die den Prozeß der Professionalisierung, Spezialisierung und Ausdifferenzierung des Diskurses über Bildung und Erziehung in ihrem eigenen Programm akzeptiert haben. Die ZfPäd war in diesem Prozess Akteur und Betroffener, Katalysator und forcierende sowie bewertende Instanz zugleich. Der von Wilhelm Flitner anlässlich der Einführung der Zeitschrift formulierte Anspruch an den Standard, den die neue Zeitschrift erfüllen sollte, war ja auch ganz eindeutig: Wie immer verschieden die Beiträge und ihre Autoren in theoretischer oder methodischer Hinsicht auch ausgerichtet sein mögen, der Ton der Abhandlungen sollte „ernsthaft“, „nur der Sache verpflichtet“ und in seinem Anspruch „streng wissenschaftlich“ sein, „soweit es der heutige Stand der Wissenschaften und der Philosophie ermöglicht“ (Flitner 1955, S. 1f.).
Die zeitgenössischen Beobachter haben akzeptiert, dass hier „strengstes wissenschaftliches Niveau und eine rein theoretische Zielsetzung“ (Derbolav 1956, S. 11f.) angestrebt werden. In der Praxis der Zeitschrift haben Herausgeber und Redaktion dieses Prinzip hochgehalten, Autoren haben es in Ablehnung oder Akzeptanz ihrer Manuskripte erfahren. Jede ernstzunehmende Neugründung von Zeitschriften wird diesen Anspruch auch oder gerade heute noch einhalten müssen, schon weil sich an den Gründen wenig geändert hat, die seinerzeit Anlass waren, die ZfPäd ins Leben zu rufen. Die öffentliche Kommunikation und Publizistik über Fragen der Erziehung und Bildung braucht einen wissenschaftlichen, theoretisch inspirierten Gegenpart, der weder weltanschaulich noch politisch festgelegt ist, sondern Probleme offen bearbeiten kann.
Der wissenschaftlichen Anspruch der Zeitschrift ist die eine Seite, der gravierende Wandel der Disziplin seit Gründung der ZfPäd die andere. Wie wir aus der Wissenschaftsforschung der letzten 25 Jahre wissen, hat sich der Raum der pädagogischen und erziehungswissenschaftlichen Kommunikation bei aller Kontinuität in zentralen Indikatoren entscheidend verändert. Nach Themen, Theorien und Methoden betrachtet, im handwerklichen Standard und im Referenzraum der Kommunikation ist die Erziehungswissenschaft am Ende des Jahres 2004 mit der wissenschaftlichen Pädagogik des Jahres 1955, dem Gründungsjahr der ZfPäd, nicht mehr vergleichbar. Das gilt auch für ein zweites Datum, das Jahr 1969, als die Muster der Transformation erstmals deutlich sichtbar wurden.
Der Auftrag von Redaktion und Verlag der ZfPäd, die ersten 25 Jahrgänge der Zeitschrift zu analysieren, hat die empirische Wissenschaftsforschung in der Erziehungswissenschaft mit angestoßen (Tenorth 1986). Die Zeitschrift war auch ein bevorzugtes Objekt in allen weiteren Anstrengungen, die Entwicklung und den Status der Erziehungswissenschaft zu untersuchen und vergleichend zu beobachten (exemplarisch dazu: Schriewer/Keiner 1993; Keiner 1999). Die darin sichtbar werdende besondere Aufmerksamkeit für die ZfPäd, ihre Autoren und das Bild der Erziehungswissenschaft, das sie repräsentieren, sind ein Beleg dafür, dass die Gründungsintentionen mit Gewinn und produktiv für die gesamte Disziplin umgesetzt wurden. Wenn man ein großes und seinerzeit ganz umstrittenes Wort gebrauchen will: Mit der Geschichte der Zeitschrift ist, disziplinär, der Weg „Von der Pädagogik zur Erziehungswissenschaft“ beschritten worden. Sichtbar ist heute aber auch der weitere Konsolidierungsbedarf in der Entwicklung zu einer international konkurrenzfähigen empirischen, historischen oder vergleichenden Bildungsforschung, zu einer argumentativ selbständigen Philosophie der Erziehung oder zu einer nachhaltigen Reflexion der pädagogischen Praxis.
Auch der Wandel der ZfPäd selbst ist unübersehbar: Im Ursprung eindeutig ein Unternehmen der sogenannten „Geisteswissenschaftlichen Pädagogik“ und des Verlages, mit der diese Pädagogik schon vor 1945 kooperiert hatte, hat sie sich spätestens seit dem Ende der 60er-Jahre theoretisch, methodologisch und methodisch geöffnet und ist zu einem Organ geworden, in dem die deutsche Erziehungswissenschaft ihren eigenen Modernisierungsprozeß als Disziplin zugleich vollzogen und kritisch begleitet hat.
II.
Die ZfPäd ist aber nicht allein ein unentbehrliches Dokument für diesen Prozeß, sie hat im Wandel der Argumentation und in der Generierung von Themen, in der Bewertung von Beiträgen und im Standard für ihre Akzeptanz oder Ablehnung eine Funktion innerhalb der Disziplin wahrgenommen, die immer deutlicher zur zentralen Aufgabe von Zeitschriften geworden ist: ihre evaluative Funktion für die Wissenschaft, die sie repräsentieren. Zeitschriften werden im Prozeß der Publikation, in Annahme, Überarbeitungsempfehlung oder Ablehnung von Beiträgen, in der Kommunikation mit den Autoren, in den Standards von Zitation und Visualisierung, in der Wahl von Themen und Schwerpunkten, auch in der Eröffnung oder Neubelebung von Diskursen zu wesentlichen Instanzen der Bewertung von Wissenschaft. In diesem Sinne sind sie in vielen Disziplinen wichtiger als Bücher.
Status, Reputation und Qualität einer Zeitschrift bemessen sich dann daran, ob sie universal anerkannte, auch jenseits von Zirkeln der Kommunikation geltende, international kommunizierbare Gütekriterien in der Praxis ihrer Editionsarbeit zugrundelegen - oder doch nur Publikationskartelle geschlossener Milieus einer Disziplin bestärken und tradieren. Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler werden danach bewertet, nicht nur ob, sondern wo sie publiziert haben. Früher wurde diese Frage mit dem vagen Kriterium der „angesehenen Zeitschrift“ beantwortet, heute mit dem sehr viel strikteren Verweis auf „referierte Zeitschriften“, die sich mit einem Referentensystem selbst zu kontrollieren verstehen. Das bedeutet auch, dass die Zeitschriften innerhalb einer Disziplin eine Hierarchie bilden und es insofern jedem Autor nicht gleichgültig sein kann, wo er veröffentlicht. Mit der Antwort auf diese Frage werden Urteile über wissenschaftliche Leistungen verbunden, wird über Vorteile oder Nachteile in der Konstruktion von Karrieren entschieden und werden Bilder der normalen, erwünschten und unerwünschten Gestalt der Disziplin gezeichnet.
Die ZfPäd wurde in der jüngeren Vergangenheit nicht unvorbereitet mit dieser Situation eines Funktionswandels von Zeitschriften konfrontiert. In ihrer Praxis galt immer schon, dass publizistische Arbeit in Wissenschaften notwendig auch die symbolische Garantiefunktion für eine Disziplin einschließt. Den Herausgebern war seit der Gründung bewusst, dass eindeutige, harte und hohe Gütekriterien in der disziplinären Kommunikation notwendig sind, wenn die Zeitschrift ihr Erscheinen rechtfertigen und - auch das - wenn sich die Anstrengungen lohnen sollten, die Herausgeber und Redaktion in die Arbeit an der Zeitschrift stecken.
Das Fremdbild der Zeitschrift hat die Selektionsfunktion gespiegelt, die sie wahrgenommen hat, was nicht immer mit freundlichen Meinungen verbunden war. Die ZfPäd war und ist innerhalb der deutschen Erziehungswissenschaft die „angesehene Zeitschrift“, sie ist heute eine der wenigen „referierten Zeitschriften“. In der Selbstwahrnehmung haben Herausgeber und Redaktion diese Funktion immer wieder diskutiert und dann auch objektivierbar und prüfbar gemacht. Bereits seit den frühen achtziger Jahren wurden alle Manuskripte von zwei Personen schriftlich begutachtet, und dies nicht allein innerhalb der Redaktion, sondern durch thematisch einschlägige Gutachter. Das Verfahren gilt auch für den Rezensionsteil, der verglichen mit anderen Zeitschriften besonders gepflegt wird und der deutlich macht, dass in der Erziehungswissenschaft Bücher ihren Status behalten haben.
In den neunziger Jahren wurde ein blind-review-Verfahren eingeführt, das heute zum Standard aller führenden Zeitschriften zählt. Zeitgleich hat die Redaktion damit begonnen, mit jährlichen Zahlen der Öffentlichkeit Rechenschaft abzulegen über ihre Arbeit, die so transparent wie möglich kommuniziert werden soll. Die ZfPäd gehört auch deshalb zu den wenigen deutschsprachigen Zeitschriften im Bereich der Erziehungswissenschaft, die im Social Science Citation Index geführt werden. Damit ist die Zeitschrift auch international als referiertes Organ anerkannt.
Dieses institutionelle Gütesiegel beschreibt den aktuellen Status der Zeitschrift, den Herausgeber und Redaktion auch künftig in Anspruch nehmen wollen, zwar formal zutreffend, aber insgesamt noch nicht umfassend. Die Erziehungswissenschaft war und ist eine Disziplin, in der sich der besondere Status der Probleme von Bildung und Erziehung und die universalen Kriterien „streng wissenschaftlicher“ Kommunikation in spezifischer Weise zur Einheit bündeln. Auch in Zeiten der Globalisierung und der internationalen Vernetzung von Bildungsentwicklungen, -standards und -erwartungen behalten Bildung und Erziehung ihre je kulturelle und, in Grenzen, auch ihre nationale Signatur. Gleichzeitig bleibt die wissenschaftliche Kommunikation auch nicht allein auf die Bildungsforscher als ihr Publikum verwiesen, sondern wird immer auch die pädagogische Profession, die relevante Öffentlichkeit und die Akteure in Bildungspolitik und Bildungsverwaltung als ihre Adressaten anzuerkennen haben.
III.
Die Zukunft der Zeitschrift kann freilich nur in dem Zusammenhang legitim und produktiv sein, der ihrer Arbeit Stabilität und ihren Anstrengungen einen Referenzraum gegeben hat und künftig sichern kann: im Kontext der Erziehungswissenschaft. Herausgeber und Redaktion gehen auch weiterhin von einem umfassenden, aber disziplinär bestimmten und für die interdisziplinäre und internationale Diskussion und Forschung gerade dadurch anschlussfähigen Bild der Erziehungswissenschaft aus. Disziplin und Profession sind miteinander kommunizierende, aber getrennte Bereiche, die arbeitsteilig verfahren und nicht, wie in der Geschichte der Pädagogik oft behauptet, nach Kongruenz oder gar Einheit streben. Forschung im Bereich der Erziehungswissenschaft ist andererseits kein Selbstzweck, sondern ist auf einen öffentlichen Erwartungs- und Referenzraum verwiesen, in und mit dem ein Teil der Themen erzeugt werden. In diesem Sinn gibt es ein Bild der Erziehungswissenschaft der ZfPäd.
„Allgemein“ ist diese Erziehungswissenschaft in einem dreifachen Sinne: theoretisch und methodisch, weil sie nicht Zugehörigkeit zu Schulen, Moden oder wissenschaftlichen Trends favorisiert, sondern die Qualität der wissenschaftlichen Arbeit, die Abhandlungen und Rezensionen für die ZfPäd aufweisen müssen; professionell und pädagogisch, weil das ausdifferenzierte Feld der pädagogischen Praxis in seiner Gesamtheit, nicht allein Schule, Lehrerberuf oder das öffentliche Bildungswesen, in der ZfPäd in ihren Handlungsmöglichkeiten und Problemen so thematisiert werden sollen, dass pädagogisches Handeln unterstützt wird; reflexiv und diskursiv, weil die ZfPäd in ihrer Arbeit bei aller Offenheit für die breite Forschung über den Bildungsprozeß des Menschen weiterhin die Grundbegriffe der Disziplin und die Tradition des abendländischen Bildungsdiskurses zur Geltung bringen wird.
Die universellen Erwartungen an wissenschaftliche Standards, an Praktiken der Forschung und an Formen, Medien und Sprachen der Kommunikation sind nicht negierbar, sie werden deshalb auch die wesentlichen und zentralen Kriterien bleiben, nach denen die ZfPäd die Akzeptanz oder Ablehnung von Manuskripten diskutiert. Aber diese Standards können nicht zu einem weltweit allein gültigen Normalmodell von Wissenschaft führen, in dem die besonderen kulturellen, professionellen und pädagogischen Probleme verschwinden, wie sie mit der institutionellen und politischen Tradition und Kultur von Bildungspolitik und Erziehung in Deutschland und Europa verbunden sind. Allerdings wird es schwer sein, die wissenschaftliche Fachsprache Deutsch weiterhin zur Geltung zu bringen, wenn die Bildungsforschung sich in Teilen weiter rasant anglifiziert. Die ZfPäd hat bislang – mit einer Ausnahme - keine fremdsprachigen Beiträge gedruckt und plant auch keine englischsprachige Ausgabe. Daraus könnte ein Problem entstehen, nicht zuletzt für den wissenschaftlichen Nachwuchs.
Das Grundverständnis ist davon allerdings nicht berührt: Die Erziehungswissenschaft steht zwischen fachwissenschaftlich-disziplinären Ansprüchen und professionell-pädagogischen Erwartungen, sie kann ihre Arbeit nicht allein nach einer Seite hin auflösen. Wir mögen für diese zweiseitige Aufgabe nicht mehr die Sprache der Gründerväter der ZfPäd wählen können, also neben der strengen Wissenschaftlichkeit auch beanspruchen, dem professionellem Pädagogen „ein Bewußtsein seiner Aufgabe sowie seines gesellschaftlich-geschichtlichen Standorts“ zu geben (Flitner 1955, S. 4), aber eine erziehungswissenschaftliche Zeitschrift kann sich nicht auf das Beobachterwissen der Forscher zurückziehen.
Diese Erwartung praktischer Relevanz bleibt auch in Zeiten zunehmender Internationalisierung des pädagogischen und erziehungswissenschaftlichen Diskurses bestehen. Sicherlich, die Untersuchungen der OECD sind nicht erst seit PISA relevant für die deutsche Debatte, IEA gewinnt heute aus guten Gründen die Aufmerksamkeit, die ihre Studien lange nicht gehabt haben, aber Globalisierung und Regionalisierung gehen nicht nur in der Bildungs- und Erziehungspolitik, sondern auch in der Wissenschaftsentwicklung parallel. Nicht allein die eigenen Traditionen, auch die lokalen Probleme und Erwartungen gehören in den Referenzraum, den die erziehungswissenschaftliche Kommunikation berücksichtigen muss, will sie nicht zur esoterischen Kommunikation von Experten mit Experten werden, karikaturhaft zugespitzt in einer Kommunikation, bei der „die Herren Callgirls“ (A. Koestler 1971) auf internationalen Konferenzen nur noch die Themen besprechen, die internationale Konferenzen als Themen für internationale Kommunikation für wert befinden.
Wir vermuten und erwarten deshalb, dass auch künftig Debatten über den Bildungsbegriff ihren Ort in der Zeitschrift für Pädagogik haben werden, dann aber nicht allein traditional, sondern so, dass die Herausforderungen durch die internationale Theorie und Forschung als theoretisch ernst zunehmender Anspruch mit thematisiert werden. Wir werden auch weiterhin die Vielfalt der Theorien und Methoden ebenso berücksichtigen wie die Vielfalt professioneller Aufgaben. Und wir werden - zusammen mit unserem Verlag, der ein zuverlässiger Partner war und ist - auch einen Weg finden, die finanzielle Krise der Bibliotheken und ihre Folgen für die Verlage von Büchern und Zeitschriften mit den neuen medialen Möglichkeiten so zu verknüpfen, dass die Fragen des Urheberrechts ebenso ernst genommen werden wie die dauerhafte Zugänglichkeit wissenschaftlicher Produkte und die evaluative Funktion von Zeitschriften in wissenschaftlichen Disziplinen.
Der Herausgeberkreis der ZfPäd bietet Gewähr dafür, die Disziplin in ihrer Breite angemessen repräsentiert zu sehen, was seit Gründung immer der Anspruch der Zeitschrift gewesen ist. Die zunehmende Differenzierung der Teildisziplinen macht es nicht leicht, diesen Anspruch mit einem qualifizierten Themenaufkommen einzulösen, aber es wird auch in Zukunft die Aufgabe der ZfPäd bleiben, zwischen und mit den einzelnen Domänen die disziplinäre Struktur darzustellen. Die Stärke der ZfPäd erwächst auch aus dem Tatbestand, dass sie ein Forum ist für die gesamte Disziplin Erziehungswissenschaft, die nicht mehr, wie noch in den fünfziger Jahren, von einem ideellen Kern aus verstanden werden kann, wohl aber ihre disziplinäre Einheit bewahrt hat. Ein Organ dafür ist die ZfPäd.
Vielleicht ist es nach 50 Jahren Arbeit von Verlag, Herausgebern und Redaktion abschließend erlaubt, Wünsche an Leser und Autoren zu formulieren, bevor der Alltag wieder einkehrt: Wir wünschen uns, natürlich, zahlreiche Angebote lesenswerter Manuskripte, eine intensive Kommunikation zwischen Autoren, Gutachtern, Herausgebern und Redaktion, interessante Themen, innovative Fragen, seriöse Methoden und inspirierende Theorien. Vor allem aber wünschen wir uns wenigstens ab und zu sogar Texte, die auch noch die Denkform der Pädagogik bereichern, vor allem deren bessere Traditionen seit Rousseaus Vorliebe für das Unwahrscheinliche nicht ignorieren (Oelkers 1983) und die aus der Erfahrung heraus so geschrieben werden, dass Ernsthaftigkeit produktive Kontroversen und literarische Ambitionen nicht ausschließt. Wir wünschen uns also Texte, die das Unmögliche möglich machen: Theoretisch präzise, aber praktisch inspirierend, methodisch gesichert, aber professionell transformierbar, produktiv streitend, aber kommunikativ anschlussfähig, klar und eindeutig und wissenschaftlich seriös, aber dennoch nicht ohne den Unterhaltungswert, den eine jede kluge Argumentation mit sich führen sollte, die ihren Leser nicht nur belehrt, sondern bildet, nicht nur informiert, sondern überrascht und produktiv provoziert. Wir setzen dafür keine Preise aus, aber wir sagen den Druck zu.
Literatur:
Buchheit, O. (1939): Die pädagogische Tagespresse in Deutschland von der Reichsgründung bis zum Weltkrieg 1871-1914. Mit einem Anhang: Gesamtverzeichnis der deutschsprachigen pädagogischen Presse 1871-1914. (Zeitung und Leben, hrsg. v. K. d’Ester, Band 57). Würzburg-Aumühle: Konrad Triltsch Verlag.
Derbolav, J. (1956): Die gegenwärtige Situation des Wissens von der Erziehung. Bonn: Bouvier.
Flitner, W. (1955): Zur Einführung. In: Zeitschrift für Pädagogik 1, S. 1-4.
Herrlitz, H.-G. (Hrsg.) (1987): Von der wilhelminischen Nationalerziehung zur demokratischen Bildungsreform. Eine Auswahl aus 90 Jahren „Die Deutsche Schule“. Frankfurt a.M.: Hirschgraben.
Keiner, E. (1999): Erziehungswissenschaft 1947-1990. Eine empirische und vergleichende Untersuchung zur kommunikativen Praxis einer Disziplin. Weinheim: Deutscher Studien Verlag.
Koestler, A. (1971): Die Herrn Call-Girls. München/Zürich: Scherz.
Oelkers, J. (1983): Rousseau und die Entwicklung des Unwahrscheinlichen im pädagogischen Denken. In: Zeitschrift für Pädagogik 29, S. 801-816.
Schriewer, J./Keiner, E. (1993): Kommunikationsnetze und Theoriegestalt: Zur Binnenkonstitution der Erziehungswissenschaft in Frankreich und Deutschland. In: J. Schriewer/E. Keiner/C. Charle (Hrsg.): Sozialer Raum und akademische Kulturen. Frankfurt a.M.: Lang, S. 277-341.
Tenorth, H.-E. (1986): Transformationen der Pädagogik. 25 Jahre Erziehungswissenschaft in der Zeitschrift für Pädagogik. In: 20. Beiheft der Zeitschrift für Pädagogik. Weinheim/Basel: Beltz, S. 21 - 85.
(Aus: ZfPäd Jg.50 (2004), H.6, S.791-797)